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Als die alte Turmuhr...

Zerbst brennt

nach einem Angriff mit Brandbombem. Links kann man die katholische Kirche erkennen, das Stadtzentrum versinkt in einer dicken, alles zerstörenden Feuer- und Rauchsäule.

Als die alte Turmuhr das letzte Mal schlug

Im Namen der Humanität bitten wir sie, es genug sein zu lassen!“

Die mutige Tat zweier Zerbster Bürger


Ein nicht wieder aus seinem damaligen Gedächtnis zu löschendes Erlebnis hatte der Leiter der Rettungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes in Zerbst, Herr Dr. Hermann Wille.
In der Broschüre „Zerbst – im April 1945“, herausgegeben durch das Heimatmuseum Zerbst unter der Leitung seines ehrenamtlichen Leiters Hermann Maenicke steht dazu die kurze Notiz: „In Nr. 40 Brüderstraße, an der Ecke Wolfsbrücke, wo sich die DRK – Station befand, kamen mehrere Schwestern ums Leben.“
Was für eine Tragödie, die damals nicht näher beschrieben werden konnte. Hier die ernüchternde Wahrheit:

Breite Straße

einzig erhaltenes Haus, die heutige Fleischerei

Alltäglich ging der Arzt Dr. Wille seinen Aufgaben nach. Er war zu der Zeit auch Betreuer von mehreren notdürftig eingerichteten Lazaretten. Seine Familie tat im Vorfeld des Luftangriffes das einzig Richtige und flüchtete nach Bone, wo alle in einer Scheune kampierten. Jeden Morgen fuhr er mit dem Fahrrad nach Zerbst um Verwundeten so gut es ging zu helfen.
Nach dem verheerenden Bombenangriff am 16. April 1945 versuchte er mehrmals die Stadt zu erreichen. Sein Ziel war unter anderem die Brüderstraße 40, wo doch immer seine treuen Rote Kreuz Schwestern sein müssten, die ihm stets zur Seite standen. Sie hatten sich nicht wieder gemeldet. Besonders hier war es Inge aus Dortmund seine private Einquartierung.

Breitestein

kurz nach der Bomardierung

Die gesamte Stadt war noch immer eine Feuersglut und es gab kaum ein Durchkommen. Brüderstraße 40 war die ehemalige Synagoge in der Stadt Zerbst, die ebenfalls im Jahre 1938 durch randalierende Nazis geschändet wurde und danach als Rettungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes eingerichtet wurde. Aus dem Einwohnermeldebuch vom Jahre 1939 wurde das Haus mit der Hausnummer 40 gestrichen. Am 18. April, sehr zeitig, fuhr der beflissene Arzt wieder nach Zerbst und suchte seine „Mädels“ überall. Auf seiner Veranlassung hin wurde ein Bergungstrupp eingesetzt, der die Kellerräume des völlig zerstörten Hauses Brüderstraße 40, es war nur noch ein Trümmerberg, freilegen sollte. Ein Volltreffer hatte auch hier seine Unmenschlichkeit vollendet. Der Keller der Synagoge war freigelegt. Hier fand er im Kreis sitzend, zusammen gehockt, verkohlte Leichen. Stiefel, Ledertaschen mit Verbandsmaterial und die persönlichen Papiere waren noch vorhanden.

Brüderstraße

Welch ein Anblick bot sich der Rettungsmannschaft. Es handelte sich um fünf Rote Kreuz Helferinnen die in einem Kreis an der Erde in Hockerstellung saßen – verbrannt, verkohlt, nicht mehr wieder zu erkennen. Gestalten eines Wahnsinns! Wieder einmal hatte sich die Fratze des Krieges breit gemacht.
Anhand der persönlichen Dokumente in den Umhängetaschen noch unverbrannt waren, konnten alle identifiziert werden konnten. Die Erkenntnis lautete aus dem was geschehen war, dass wohl eine Luftmine einen solchen Druck auslöste, dass der sofortige Tod eintrat. Die sich anschließende Feuersglut tat das Übrige.
Wir trauern hier alle um diese jungen Menschenkinder, die in Erfüllung ihres humanen Auftrages um Leben kamen:


Feyerabend, Erna aus Zerbst
Feyerabend, Christa aus Zerbst
Teichgräber, Inge aus Dortmund
Niemitz, Wally aus Gommern
Vitolnieks, Arija aus Lettland

16. April vor 69 Jahren

Der schöne alte Markt nach dem Bombenangriff völlig zerstört. Warum habt ihr unsere Häuser zerstört? Warum brannte der Himmel? Warum bekamen wir in der Not nichts zu trinken? Warum habt ihr uns überhaupt wehgetan? Warum müssen wir weg von der Stätte unserer Kindheit? (Mehr Info's unter "Zerstörung")

Oft saßen die Menschen wie Geister da. Ihr völlig vermummtes Gesicht mit Decken oder Handtüchern, manchmal auch mit einer aufgestülpten Gasmaske bedeckt. Die Mutter noch ihr Kind auf dem Schoß haltend mit den Armen fest umschlossen. Im Keller der Brauerei Lorenz Pfannenberg in der Breiten Straße 23, hatte die Hitze im Keller die toten Menschen im geschmolzenen Zucker eingeschlossen. So hässlich es sich auch sagen lässt, die Menschen wurden förmlich „gekocht“. Zuerst erblindet der Mensch.
Alle hatten den Schutz vor dem Verbrennen, vor Rauch, vor dem Ersticken, vor Staub und vor tödlichen Gasen gesucht. Vergebens war in diesem Keller der letzte Kampf um ihr Leben! Peter Scholl-Latour sagte einmal: „Der Tod selbst ist neutral, aber das Sterben ist oft schlimm!“
Viele dachten bei solch einem nicht aufhörenden Krachen der Bomben: Könnte ich jetzt nicht ein kleiner Käfer sein oder nur eine Kellerassel – man könnte sich verstecken, da wo es noch ruhig erscheint!

Alte Brücke

Nach Tagen des Bombardements durch Artilleriebeschuss herrschte eine unerträgliche Ruhe in den von meterhohem Schutt liegenden Straßen. Auch die Luft stand still ohne jegliche Bewegung. Die herrlich warmen Frühlingstage waren noch das einzig Schöne in der Stadt. Aber auch der Tod war noch immer unterwegs und legte seine Sterbedecke über so manchen Haustrümmerberg. Es roch ganz anders als sonst. Eine Erinnerung an den verfaulten Brandgeruch macht sich bei vielen Menschen heute noch bemerkbar, wenn man an eine brennende Müllhalde vorbeikommt. Sofort werden die erfahrenen Eindrücke vor sechzig Jahren wieder wach und Sensoren geben ihre Signale an bedrückende Erlebnisse in uns weiter.

Vergeblich auch der Kampf für die 574 mit Urkunde bestätigten Zerbster Toten des 16. April 1945, die sich aufgliedern in:

247 Mütter = 43,1 %
209 Väter = 36,4 % 9
9 Kinder = 17,2 %
19 Unbek. = 3,3,%

Schloßfreiheit

Viele für mich erst nach 60 Jahren bekannt gewordene Familientragödien, spielten sich in Kellern und auf den Straßen ab.
Augenzeugen berichten, dass Amerikaner mit einem Jeep das erste Mal in Zerbst war und erteilten eine Frist der Übergabe bis zum 14. April 1945. Auch am 20. April erfolgte nochmals die Forderung zur Übergabe der Stadt. Gemeinsam schaffte es später die Parlamentäre der US Armee mit den zwei Zerbster Bürgern
Dr. Hermann Wille und Heinrich Gelzenleuchter, dass eine zweite Vernichtung der Stadt durch Artillerie ausgesetzt wurde und nicht stattfand.
Immer und immer kam vom Verantwortlichen der Wehrmacht Oberst Paul Könsgen ein „Nein!“. Auch der Nachfolger, ein Major Busse hatte keine Meinung zu einer Übergabe der Stadt an die Amerikaner. Zwei unbelehrbare verbohrte Mitmenschen, die nur zeitweilig in unserer Stadt waren.
Dem amerikanischen Offizier Captain Francis Christian Schommer und seinem Begleiter Lietenant Paul Mc Farlane wurden bei ihren Parlamentärfahrten vorher von seinen Vorgesetzten gesagt: „Sie wissen, dass Sie es nicht tun brauchen, es ist ihr freier Wille in die Stadt Zerbst zu fahren!“ Mehrmals war der amerikanische Offizier des 3. Batallions im 329. Infanterie Regiment in unsere Stadt.

Der Kiekinpott

im Schlossgarten blieb uns erhalten

Heinrich Gelzenleuchter und Dr. Hermann Wille, für mich heute würdige Ehrenbürger unserer Stadt. John-Lennon-Ring und Heßbrüggenstraße erscheint heute wichtiger bei Straßenbenennungen. Die beiden Zivilisten wurden mit einer Vollmacht des damaligen Oberbürgermeisters Helmuth Abendroth ausgerüstet und zu den Kampflinien der Amerikaner geschickt. Eine zweite geplante Zerstörung der Stadt sollte am 28. April gegen 15.00 Uhr erfolgen.
Bei der Fahrt zu den Amerikanern landeten sie als Zivilisten gegen 14.15 Uhr in Walternienburg bei der amerikanischen Armee und wurden sofort zum Gefechtsstand des 331. US Infantry Regiment nach Tochheim gefahren. Dieser befand sich im dortigen Gasthof. Nach umfangreicher Befragung ging die Fahrt zurück nach Walternienburg dort wurden sie von Colonell B. Crabill empfangen. Man wartete bereits auf den stellvertretenden Divisionskommandeur General Claude B. Ferenbaugh. Es wurde dann die Entscheidung getroffen, dass der Beginn des Beschusses der Stadt auf 16.00 Uhr verlegt wird. Im Gespräch wurde von Herrn Dr. Wille geäußert, der wohl an das Gewissen der amerikanischen Offiziere appellierte:
„Herr General, im Namen der Humanität bitten wir sie, es genug sein zu lassen!“
Diese ausdruckstarke Redewendung hatte wohl den Amerikanern zu denken gegeben. Wieder war es für die beiden mutigen Zerbster Männer eine Stunde des Aufschubs einer Beschießung. Beide wurden nach Güterglück gebracht zum 3. Battaillion und wurden für die nochmalige Fahrt nach Zerbst auf den hinteren Teil eines Jeeps gesetzt. Wiederum war es Captain Schommer der die Verhandlungen führen sollte. In fast völlig zerschossenem Töppel angekommen, musste Dr. Wille nun aber bei der Trafostation warten, bis das Fahrzeug aus Zerbst zurückkam. Er bildete auch gleichzeitig eine Gewähr für das Zurückkommen.
Gegen 14,30 Uhr war die Rückkehr der beiden Zerbster in Begleitung der 2 amerikanischen Offiziere im Neuen Haus auf dem Markt. Heinrich Gelzenleuchter musste hinten sitzen. Sollte er ein eventueller Kugelfang darstellen?

Die völlig zerstörte Orangerie

Danach gaben sie ihren Bericht an den Oberbürgermeister der Stadt, dass sie zu dem kommandierenden General in Güterglück vorgedrungen waren. Der Befehl zur Beschießung der Stadt bestand schon für 15.00 Uhr und sei nun auf 16.00 Uhr verlegt. Die Amerikaner blieben im Neuen Haus, während der OB in die Kaserne fuhr – die Verhandlungen dort waren wieder ergebnislos!
Obendrein für seinen Einsatz, wurde der Oberbürgermeister Abendroth in den Keller der Kaserne durch SS Soldaten eingesperrt. Die Amerikaner warteten vergebens im Keller des Neuen Hauses am Markt.
Am 27. April forderten die Amerikaner zum dritten Mal die Übergabe der Stadt.
Die „Geißel“ Gelzenleuchter im Jeep mit den 2 Offizieren war nochmals in Zerbst. Anschließend fuhr er sofort durch die Kampflinie der Amerikaner. Dadurch erreichten sie das Regiment in kurzer Zeit.
Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Amerikaner schnell in Zerbst waren und keine weitere Beschießung stattfand.
Erst am 28.4. 1945 entschied der Zerbster Oberbürgermeister die Übergabe der Stadt. Gelzenleuchter und Wille haben das Schreiben den Amerikanern überbracht. Sie bürgten mit ihrem Leben dafür, dass es keine Kriegshandlungen mehr in der Stadt geben werde. Eine heute unvorstellbare mutige Tat. Die Amerikaner brachten zum Ausdruck, dass sie keinen einzigen Soldaten mehr vor Kriegsende opfern werden.
Hinterher hatte man Heinrich Gelzenleuchter befragt was er in der Stunde der Entscheidung gedacht hatte? Seine klare Aussage, vom einmütigen Bekenntnis zu seiner Stadt war: „Es ist wichtiger, das eigene Leben in die Schanze zu werfen, als das Leben vieler Tausender aufs Spiel zu setzen!“

Trümmerbahn

Blick von der Martin-Luther-Promenade in Richtung Wegeberg.

Gegen 17.00 Uhr am 28. April 1945 kam die amerikanische Armee in Zerbst an. Sie marschierten u.a. auf den Kasernenhof mit der Aufforderung, dass alle Wehrmachtsangehörigen herauszutreten haben.
Auch der Zerbster Oberbürgermeister kam wieder ans Tageslicht. Der amerikanische Offizier (Schommer) erkannte den OB und gab den Befehl der sofortigen Freilassung.
Am 2. Mai 1945 gegen 12.00 Uhr wurde der Zerbster Oberbürgermeister Helmuth Abendroth durch den amerikanischen Major CMP Mil. Gouv. Donnell seines Amtes enthoben.
Es wurde ein würdiger Nachfolger benannt: Nikolaus Reinstädtler!
Im Jahre 1992 besuchte dann der ehemalige Offizier der US Armee, Francis, Christian Schommer (†) unsere Stadt und er hatte den Wunsch, noch einmal von Töppel nach Zerbst zu fahren. Diesen Wunsch erfüllte er sich. Er sagte unter anderem beim Bürgermeister Helmut Behrendt: „Er wollte auch nur mithelfen den elenden Krieg zu beenden!“

Helmut Hehne, Zerbst

Wir nähern uns dem wohl traurigsten Kapitel

Stadtgeschichte. Am 16.4. vor nun mehr 71 Jahren wurde Zerbst nahezu komplett zerstört. Es sind diese Bilder, die uns daran erinnern sollen, dass sich so etwas nie mehr wiederholt! Hier die die zersörte Haselopstrasse in Richtung Heidetor...